Nachdem ich mit Rafal im letzten Jahr auf dem Fichtelberg war, wollten wir zwei auch in diesem Jahr wieder einen 600er am PSD-Fahrt Wochenende fahren. Unsere Idee war es, ins 3 Länder-Dreieck Polen-Tschechien-Deutschland zu fahren. Rafal hatte bereits angefangen einen Track zu planen, aber dann kam alles anders … und das nicht nur wegen Corona.
Auch der 600er Brevet sollte in diesem Jahr zum gleichen Ziel gehen. Daher entschieden wir uns für einen anderen Track. Die Idee mit dem Brauhaus entstand. Dann kam Corona und Rafal sagte mir, das er dieses Jahr gar keine Langstrecke fahren möchte. Ich dachte viel über einen Satz von Stefan M. nach: „Und im nächsten Jahr fährst du einen 600er alleine.“ Zu einem „Ja das mache ich jetzt“ konnte ich mich allerdings nicht durchringen. Zwar konnte ich auf meiner Solo-Tour im Mai meine bisher längste Tour allein fahren, immerhin 400km, aber auch noch 200km zu kurz. Ich verdrängte das Thema.
Auf einer Bäckerrunde im August, die von Andreas organisiert wurde, traf ich nach langer Zeit Nico wieder. Das letzte mal hatte ich ihn im April getroffen. Kurz nachdem Rafal für dieses Jahr alles abgesagt hatte. Er erinnerte sich an unser Gespräch und fragte, was nun mit dem 600er in der zweite Jahreshälfte wäre. Ich war überrascht. Ja, war schon fast überrumpelt. Schickte Nico aber trotzdem den Track, der fertig in der Schublade lag, und wir machten direkt mehrere mögliche Termine aus.
Da Nico bei mir um die Ecke wohnt, passte aber der Startpunkt des Tracks, den ich und Rafal gebaut hatten, nicht mehr. Keiner von uns wollte zweimal durch Berlin fahren. Also passte ich den Startort an und führte den Track im Süden am Stadtrand entlang. Nun war er aber viel zu lang. Also kürzte ich den Rückweg, führte ihn nun nicht mehr so weit nach Norden. Damit war die zweite Hälfte des Tracks komplett neu erstellt. Dann verglich ich den Weg in Richtung Harz mit der Strecke, die ich 2018 bereits gefahren bin. Mit der Erkenntnis, dass dort viel gleiches dabei sein würde. Also plante ich den Hinweg auch noch einmal neu. Schlussendlich blieb nur das Ziel, das Brauhaus in Goslar, gleich.
Ungewöhnlich für mich: Nico hat am Wochenende keine Zeit. Wir fuhren also in der Woche. Ich hatte 2 Tage Urlaub genommen und wir starteten früh am morgen. Es war noch dunkel und kühl. Ich entschied mich trotzdem mit kurzer Hose loszufahren. Nico war mit lang/lang am Start. Meine Begründung „Es wird ja gleich warm!“ ließ Nico schmunzeln. Das „gleich“ wurde dann zu einem sehr dehnbaren Begriff, denn es war den ganzen Vormittag über noch frisch.
Die erste Pause machten wir an einer Tankstelle in Niemegk. Leider war das die beste Tankstelle, die wir auf der gesamten Fahrt sehen würde. Es gab einen Imbiss. Aber es war noch so früh das es dort noch nichts gab. Dafür hatten sie ein gutes Frühstücks-Sortiment. Als wir dann draußen beim Essen saßen, kam gemeinerweise auch noch ein Hähnchengrillwagen vorbei. Aber auch der Grill war kalt.
Wir fuhren weiter, das nächste Etappenziel Elbe. Ein komischer kleiner Offroad-Zipfel im Track, der sich mit Komoot nicht ohne Off-Grid-Teil wegplanen ließ, ließ sich durch ein einfaches „geradeaus weiter“ umgehen. Keine Ahnung was Komoot da für ein Problem hatte. Wie auch vor 2 Jahren wollte ich nicht mit einer Fähre über die Elbe und da Elbbrücken rar sind, ging es für uns über eine mir bekannte Brücke.
Kurz vor Schönebeck erkannte ich den Elbdeich wieder. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich und Rafal damals auch auf dem Deich oder auf der Straße gefahren sind. Auf dem Deich war es nämlich furchtbar. Pflastersteine mit vielen Schlaglöchern. Beim Bäcker, den ich ebenfalls kannte wollten wir Pause machen, aber der hatte seine Stühle bereits reingeräumt, oder wegen Corona gar nicht erst raus. Jedenfalls war das für uns unattraktiv und so fuhren wir zur nächsten Tankstelle. Dort merkte ich wie windig es geworden war. Der Wind schaffte es meine halb leere Cola-Flasche umzuwehen. Die schöne Cola! 🙁 Und nach der Pause mussten wir genau gegen den Wind und auch noch Bergauf.
Der Wind beschäftigte uns nun eine ganze Weile. Die Strecke führte über offene Felder in Richtung Harz. Schon bald konnten wir den Brocken sehen. Wir sinnierten da drüber, wie stark der Wind wohl da oben sein würde. Naja eigentlich machte nur ich mir so Gedanken und sprach sie immer wieder laut aus. So versuchte ich mir den Gegenwind irgendwie schön zu reden: „Da oben auf dem Berg ist ja alles viel schlimmer.“
Half aber nur bedingt. Also Kuchenpause in Halberstadt. An einer Tankstelle. Wo auch sonst. Ich erkannte die Tankstelle sogar wieder. Dort war ich auch schon einmal. Allerdings mit dem Auto. Bei unserem ersten Familienurlaub mit Kind. Das weiß ich noch so genau, da die Lütte da auf Toilette musste und ich eine gefühlte Ewigkeit im Auto warten musste. Nach der Pause ging es weiter in Richtung Wernigerode und dann am Rand des Harzes entlang in Richtung Goslar. Ein paar Hügelchen hoch und wieder runter. Die Höhenmeter hielten sich aber in Grenzen.
Die letzten Kilometer vor Goslar fühlten sich an als würde ich fliegen. Vorbei am Stadttor, bei dem ich mich an den Weg zu unserer damaligen Ferienwohnung in Hahnenklee zu erinnern versuchte. Dann das Zentrum mit den vielen Fachwerkhäusern, vorbei am Rathaus und dann endlich zum Brauhaus. Ziel erreicht. Nach der Pause dann nur noch der Rückweg. Die Hälfte vom 600er waren geschafft. Yeah!
Wir hatten mehr Glück als Verstand. Im Brauhaus waren alle Tische voll oder reserviert. Draußen fanden wir aber einen Tisch. Wetter war ja gut und ehrlich gesagt war es mir so auch lieber, weil wir so die Räder nicht unbeaufsichtigt lassen mussten. Das Essen war so wie ich es in Erinnerung hatte. Gut! Sehr gut! Das Bier auch. Es lohnt sich also definitiv dafür bis nach Goslar zu fahren.
Kurz nach der Pause, noch in Goslar, der Intelligenztest der Tour: Der Track führte uns in eine Sackgasse. Vor uns ein Parkhaus, links von uns ein Hotel und auf der rechten Seite ein Restaurant. Die einzige Möglichkeit: Ab ins Parkhaus. Aber auch von dort aus ging es nicht weiter. Die Lösung war dann, dass wir nach oben mussten. Ab durchs Treppenhaus, 3 Etagen höher ging es dann über eine Brücke auf der gegenüberliegenden Seite wieder raus. Wahoo fehlt definitiv die Option: „Bitte fahren Sie nach oben.“
Als wir Goslar dann verließen deutete sich Regen am Horizont an. Und tatsächlich fielen auch ein paar kleine Tropfen vom Himmel. Aber so wenig, das es sich nicht lohnte die Regensachen anzuziehen. Außerdem wurde es dunkel, da waren die Wolken dann eh nicht mehr zu sehen. Und was man nicht sieht ist auch nicht da. Wir ließen den Harz hinter uns und erreichten schon bald Salzgitter zum ersten Mal. Dann gleich nochmal und nochmal und nochmal. Irgendwann hörte ich auf die Salzgitter Ortschilder zu zählen. Ich war verwirrt. Was ist Salzgitter nur für eine große Stadt? Zu Hause ergooglte ich mir dann die Auflösung. Salzgitter ist keine „normale Stadt“ sondern ein Zusammenschluss aus mehreren Gemeinden.
Irgendwann erreichten wir dann aber doch Braunschweig. Dort machen wir die nächste Pause. Wieder an einer Tankstelle. Es ist die letzte Tankstelle, die wir in der Nacht betreten konnten. Es ist kurz vor 22 Uhr. Nach uns wird die Tür verschlossen und der Nachtschalter aktiviert. Ich schaue kurz aufs Handy und beschließe das wir die nächste Pause in Magdeburg machen sollten. Dabei verschätze ich mich mit der Entfernung aber total. Magdeburg ist noch zu weit weg.
Also legten wir noch eine weitere Pause in einem Ort ein, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe.. In Erinnerung lieb mir allerdings die Tankstelle im Zentrum direkt neben einer Bahnstrecke. Alle 2-3 Minuten donnerte dort ein Güterzug vorbei. Es war laut. So richtig laut. Wir grübelten, wie die Leute in den umliegenden Wohnhäusern wohl schlafen können. Auch mit Schallschutz müssen durch die Vibrationen selbst die Möbel durch die Wohnung tanzen. Wir fühlten uns dort nicht wohl und fuhren schnell weiter in Richtung Magdeburg.
In Magdeburg überquerten wir wieder die Elbe. So langsam machte sich das Gefühl breit, schon bald zu Hause zu sein. Aber mit dem Gefühl auch die Müdigkeit. Nico fuhr jetzt nur noch hinter mir. Ich hatte das Gefühl das er stärker zu kämpfen hatte als ich. Ich schlug eine Bushaltestellenpause vor und hielt nach einer Ausschau.
Drei Dörfer weiter fand ich dann auch eine. Fragte Nico nochmals, ob er eine 10min Schlafpause brauchte. Er bejahte. Also Augen zu. Ich konnte mich zwar etwas erholen, aber für Schlaf war bei mir die Pause zu kurz. Ich zählte die Autos, die vorbeifuhren. Selbst mit geschlossenen Augen konnte man ihr Scheinwerferlicht erkennen. Waren aber nicht viele und dann klingelte auch schon Nico sein Handy. Und 10 Sekunden später auch die Sirene der Dorf-Feuerwehr. Länger hätten wir also eh nicht schlafen können. Wir scherzten: „Einsatz! 2 regungslose Personen in der örtlichen Bushaltestelle.“ Also schnell weiter.
Die Stimmung war deutlich besser als vor der Pause. Es wurde auch wieder Hell. Am Horizont konnte man ganz zaghaft das Morgenrot erkennen. Traumhaft schön. Bei der nächsten Tankstellenpause konnten wir dann auch bereits wieder in die Tankstelle. So konnte ich doch wieder besser aussuchen was ich haben wollte: Kaffee – Cola – Kaffee und noch mehr Cola und Kaffee.
Trotzdem kam die Müdigkeit wieder zurück. Ich brauchte einen Strategiewechsel. Noch eine Tankstellenpause hielt ich wahrscheinlich nicht durch. Länger als 5 Minuten wollte ich nicht mehr stehen bleiben. Ich hatte das Gefühl das ich ansonsten schnell im Land der Träume verschwinden würde. Essen und Trinken brauchten wir beide nicht, unsere Taschen waren noch voll. Eine Tankstelle war also gar nicht nötig. Unsere neue Strategie war es etwa alle 30-40 Kilometer für 5 Minuten kurz anzuhalten. Wie quatschten wieder mehr. Das Problem Müdigkeit hatte sich damit erledigt.
Kurz vor dem erreichen des Berliner Rings standen wir vor einer gesperrten Straße. Auch der Seitenstreifen war nicht wirklich befahrbar. Wir entschlossen uns also die ausgeschilderte Umleitung zu nehmen. Das erste Stück führte auch über einen 1a Radweg, doch dann ging es direkt in den Wald. Unbefestigte Wege mit Sandlöchern. Perfekt für unsere Rennräder.
Als wir wieder auf einen asphaltierten Radweg trafen, war die nächste kleine Pause fällig. Es war mittlerweile so warm, das wir die langen Klamotten der Nacht nicht mehr brauchten. Und natürlich kam dann just in dem Moment, wo wir beide halb nackt im Wald standen, eine älteres Ehepaar mit ihren Rädern vorbei. Sie sprachen uns an, fragten ob uns die Situation peinlich war. Natürlich war es das nicht.
Schon bald trafen wir dann wieder auf unseren Track und auch auf für mich bekannte Wege. Ich schaltete die Navigation aus. Konzentrierte mich voll auf die immer kleiner werdende Restkilometerzahl. Meine Müdigkeit ist komplett verschwunden. Auch wenn ich wohl noch hätte weiter fahren können, freute ich mich bereits auf mein Bett. Gegen 12 Uhr Mittags war es dann soweit. Zu Hause! Geschafft. Nico sein erster 600er. Glückwunsch!
Nach einem kurzen Gespräch mit meiner Frau und den Strava Upload (Viele Freunde hatten per Messenager gefragt, ob ich krank bin, da ich schon 2 Tage nichts hochgeladen hatte) ging ich direkt ins Bett. Gegen 16 Uhr war ich dann aber bereits wieder wach, spielte etwas mit den Kindern und gegen 20 Uhr ging es dann wieder ins Bett. Schlaf nachholen.
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