An diesem Tag ging es nun einmal quer durch Zeeland. In der Nähe hatte ich meinen dritten und letzten Familienurlaub in den Niederlanden verbracht. Auch hier kannte ich mich also mehr oder weniger aus.
Das erste Highlight des Tages ließ nicht lange auf sich warten. Wir fuhren über das Oosterschelde-Sperrwerk. Links und rechts war das Meer zu sehen. Am Horizont konnte man den einen oder anderen Leuchtturm erkennen und der Wind wehte noch einmal direkt von vorne. Im Gegensatz zu den anderen Tagen war dies allerdings nicht so schlimm.
Wir fuhren mit einem unwohlen Gefühl, da unser Reservemantel am Vorabend an meinem Rad montiert wurde. Also beschlossen wir, so schnell wie möglich einen neuen zu kaufen. Der erste Radladen, den ich fand, war leider ein Reinfall. Geschlossen. Bei dem nächsten hatten wir aber Glück. Wir kauften einen neuen Mantel und auch einen neuen Schlauch. Außerdem hatten wir richtig gutes Timing. Während wir einkauften, zog nämlich ein Regenschauer durch. Als wir alles verpackt hatten, war es schon wieder trocken. Da hatte unsere Panne am Vortag nun doch etwas Gutes gehabt.
In Visslingen verließen wir den Track um in das Zentrum der Stadt zu gelangen. Wir wollten dort das Ladekabel für unsere Tracker kaufen. Mein Wunschziel war der dortige HEMA, den ich aus dem Familienurlaub kannte. Ich erinnerte mich daran, dass es dort viele Kabel zu kaufen gab. Es gab auch in der Tat jede Menge Kabel, allerdings alle nur mit Micro-USB. Wir brauchten aber Mini-USB. Anschließend fragten wir noch in 3 weiteren Läden nach. Das Ergebnis war allerdings überall das gleiche. Nur Micro-USB, kein Mini-USB!
In der Zwischenzeit erhielt ich auch über den Facebook Messenger eine Nachricht vom Veranstalter: „Ladet bitte eure Akkus!“ Wir hielten noch einmal und antworteten kurz, dass wir kein Kabel hatten und auch keines mit dem nötigen Anschluss auftreiben konnten. Außerdem schrieben wir, dass wir nun erst einmal wieder Rad fahren wollten. Wir waren ja nicht zum Shoppen in Holland. Wir hatten noch immer die leise Hoffnung, dass hinter der nächsten Ecke jemand stünde um den Tracker zu tauschen.
Eigentlich hatten wir überlegt, einen kleinen Abstecher nach Yeserke zu machen, um dort Muscheln zu essen. Aber irgendwie waren wir durch den Ärger mit dem Kabel nicht in der Stimmung dazu. Stattdessen versuchten wir im nächsten größeren Ort erneut, das passende Kabel aufzutreiben. Aber auch dort hatten wir keinen Erfolg. So langsam wurde die Kabelsucherei echt nervig und drückte auf die Stimmung.
Wir gaben die Suche nach dem Kabel auf. In der nächsten Pause, in der dringende Geschäfte erledigt werden mussten, hatte ich die Idee uns helfen zu lassen. Ich rief meine Frau an und Maren ihren Vater. Beide bekamen von uns die Aufgabe in der Nähe des Tracks zu schauen, ob sie eventuell einen Laden finden würden, wo es ein Mini-USB-Kabel geben könnte.
Wir waren noch am Telefonieren, da fuhr ein anderes RATN Team an uns vorbei. Ich rief zu Maren: „Beeil dich!“, denn ich wollte die beiden fragen, ob sie eventuell ein Kabel hatten und es uns leihen würden. Mittlerweile waren sie aber bereits am Horizont verschwunden. Wir fragten unsere Beine, was noch möglich war und jagten den beiden mit knapp 40kmh hinterher. 2 Dörfer später hatten wir sie dann auch eingeholt. Allerdings hatten sie auch kein Kabel. Alles umsonst. Machte aber trotzdem Spaß.
Mein Telefon klingelte. Es war meine Frau. Sie hatte einen Mediamarkt gefunden. Aber leider war dieser etwa 15 Kilometer vom Track entfernt. Wir wollten kein Risiko eingehen. Riefen dort also an und fragten, ob es das passende Kabel gab. 15 Minuten Warteschleife und Nachfragen beim Kollegen und Warteschleife und weiteres Nachfragen später erhielten wir ein klares „vielleicht“ als Antwort. Also fuhren wir weiter auf dem Track, denn das war uns dann doch zu unsicher, um einen 30 Kilometer Umweg zu riskieren.
Kurz vor Roosendaal klingelte das Telefon wieder. Diesmal war Marens Vater dran. Er hatte einen Technik-Laden gefunden, in dem es ein Mini-USB-Kabel geben sollte. Er hatte dort auch bereits angerufen und das Kabel zurücklegen lassen. Der Anruf kam genau im richtigen Moment. Der Laden war etwa 5 Kilometer von uns entfernt. Wir nahmen die 10 Kilometer in Kauf und holten das Kabel.
Neben dem Technik-Laden machten wir dann direkt im Anschluss an den erfolgreichen Einkauf unsere Mittagspause. Ich war überrascht: Eine Pommesbude, bei der die Pommes noch frisch aus Kartoffeln hergestellt wurden. Direkt im Schaufenster. Irgendwie auch witzig. Das entschädigte uns zumindest ein wenig für die ausgefallenen Muscheln. Während wir aßen, luden wir meinen Tracker auf.
Ich schrieb nochmal eine Nachricht an den Veranstalter. Teilte ihm mit, dass wir nun ein Kabel hatten. Aber auch, dass wir etwas enttäuscht waren, dass das so schlecht organisiert wurde. Und dass wir dadurch viel Zeit vertändelt hatten und die Stimmung nicht wirklich gut war. Wir waren gespannt, ob wir darauf eine Antwort erhalten würden. Kurze Zeit später kam sie dann. Der Veranstalter entschuldigte sich. Erklärte, dass die Tracker von einer externen Firma waren und dass er im nächsten Jahr einen anderen Anbieter wählen wird. Außerdem wünschte er uns ein erfolgreiches Finish.
Das legte zumindest bei mir im Kopf einen Schalter um. Ich fing an darüber nachzudenken, dass wir auf dem besten Weg waren das Rennen abzuschließen. Es lagen nur noch 2 weitere komplette Tage vor uns. Ich rechnete mit einer Zielzeit von 7 Tagen + X Stunden. Da es mittlerweile schon wieder Richtung Nachmittag ging, buchten wir unser Hotel.
Die letzte große Stadt, die wir an diesem Tag noch durchfuhren, war Baarle Hartog. Ein Kuriosum. Etwa die halbe Stadt gehört zu den Niederlanden, während die andere Hälfte in Belgien liegt. Die Stadt ist dabei aber nicht einfach in zwei Teile geteilt. Innerhalb des belgischen Teils gibt es kleine Bereiche, die zu den Niederlanden gehören. Und natürlich auch umgekehrt. Das Ganze geht soweit, dass ein Haus zu beiden Ländern gehören kann. An den Hausnummern, die neben den Türen angebracht waren, konnte man erkennen in welchem Land man gerade war.
Da es schon recht spät war, kauften wir dort im Jumbo-Supermarkt ein. Es lag zwar noch ein weiterer Supermarkt am Track, aber wir waren uns nicht sicher, ob wir ihn noch rechtzeitig erreichen würden. Die letzten Kilometer bis zum Hotel waren dann auch mehr als zäh. Wir fuhren auf einem Radweg, direkt neben einer etwas größeren Straße. Immer geradeaus. Ab und zu nur unterbrochen von einem Kreisverkehr. Es kam uns so vor, als ob wir gar nicht vorankämen.
Kurz nach 21 Uhr erreichten wir dann doch unter Hotel. Naja nicht ganz. Wir fuhren am Hotel vorbei, da ich auf dem Handy den Zielpunkt für die Navigation nicht genau genug gesetzt hatte. So fuhren wir in eine Sackgasse hinter dem Hotel. Ein normales Wohngebiet. Also fuhren wir wieder zurück.
Im Hotel waren alle Lichter aus. Die Türen verschlossen. Keiner da. Wir riefen die Telefonnummer an, die an der Tür stand: Anrufbeantworter. Maren lief noch einmal um das Hotel. Bei mir machte sich aber bereits Panik breit. Wir brauchten ein anderes Hotel. Meine Vorbereitung nützte uns nun nichts mehr, da ich nur etwa alle 20 Kilometer auf dem Track Hotels markiert hatte. Zu weit für den Abend.
Also suchte ich mit Googles Hilfe nach einer möglichst nahegelegenen Alternative. Wir riefen mehrere Hotels an. Entweder ging niemand ans Telefon oder es gab eine Absage. Die Panik wurde größer, es wurde dunkler und der Umkreis in dem ich suchte größer.
Dann klingelte mein Telefon. Es war eine nette Dame dran, die ein freies Zimmer hatte. Allerdings wussten wir nicht direkt, zu welchem der vielen Hotels, die wir probiert hatten, sie gehörte. Trotzdem sagten wir ohne zu zögern, dass wir das Zimmer nehmen werden. Anschließend fragten wir, von welchem Hotel sie überhaupt anrief. Wir mussten ja den Weg dorthin finden.
Ich weiß heute nicht, ob es die Angst war, ein weiteres Mal vor verschlossenen Türen zu stehen oder nur meine eigene Dummheit. Jedenfalls wollte ich so schnell wie möglich zu dem Hotel. Ich suchte es auf Google Maps. Klickte auf Navigation mit dem Fahrrad und dann auf los.
Bis zum Hotel sollten es in etwa 7 Kilometer sein. Das erste Stückchen der Strecke war gut. Es ging über gute Wege durch eine Ortschaft. Dann wurde es auf einmal rumpelig und keine 200 Meter weiter standen wir im Wald. Im Dunklen. Natürlich ohne befestigte Wege. Trotzdem dachten wir nicht ans Umdrehen. Wir wollten immer noch so schnell wie möglich ins Hotel.
Ich fuhr mit einer Hand am Lenker und in der anderen Hand das Handy. Einen Handschuh hatte ich ausgezogen, da das Display vom Handy immer wieder ausging und ich meinen Fingerabdruck benötigte um es wieder anzuschalten. Total bescheuert: Mit dem Rennrad nachts einhändig im Wald.
Nach etwa 3 oder 4 Kilometern im Wald konnten wir dann wieder auf Asphalt fahren. Wir atmeten auf: Keine Panne im Wald. Das hätte uns den Tag wohl vollends versaut. Wir erreichten unser Ziel, mittlerweile war es ungefähr 22:30 Uhr.
Zu unserer Überraschung erwartete uns kein Hotelzimmer. Wir durften uns über ein eigenes kleines Häuschen mit Wohnzimmer, Bad und Schlafzimmer freuen. Außerdem war Frühstück im Preis enthalten und wir erhielten auch noch eine Flasche Rotwein als Begrüßungsgeschenk.
Einzig die Räder mussten dieses Mal draußen „Schlafen“. Dies störte uns allerdings nicht, da wir mitten im Nichts waren. Wir erwarteten nicht, dass dort in der Nacht irgendwelche Leute vorbeikommen würden. Wir kramten unsere Sachen aus den Taschen und gingen ins Haus.
Dadurch, dass die Tür relativ lange offen stand, war es in dem Haus recht frisch. Oder aber es kam mir nur so vor, weil die Fahrt ohne Handschuh ihre Spuren hinterlassen hatte. Ich lief jedenfalls ziemlich kopflos durch das Ferienhaus, auf der Suche nach der Heizung. Diese fand ich aber nicht. Mein Plan B war es dann, so schnell wie möglich heiß zu duschen.
Nach dem Duschen fand ich dann doch noch das Bedienteil für die Fußbodenheizung und drehte die Temperatur etwas hoch. Anschließend verschwand ich zusammen mit dem Rotwein direkt ins Bett zum Zimmerpicknick.
Meine Stimmung war nach dem Tag eher schlecht. Mir war immer noch kalt. Die Knie schmerzten. Ich machte mir Sorgen, wie ich den nächsten Tag überstehen sollte. Hoffte aber trotzdem, dass am Morgen alles wieder gut sein würde. Musste es ja auch, weil ich die holländischen Berge (also die richtigen) sehen und auch fahren wollte.
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