Nachdem ich beim ersten Bed&Breakfast erst so spät starten konnte, stand ich nun wieder früher auf. Mein innerer Monk ist einfach glücklicher, wenn ich festen Gewohnheiten nach gehen kann. Meine frisch gewaschenen Klamotten waren auch alle wieder trocken. So ein Handtuchheizkörper war schon was feines. Ich packte mein Zeug und ging direkt zum Frühstück.
Dazu musste ich einmal aus dem Haus heraus und durch die Nachbartür wieder hinein. Beide Türen waren abgeschlossen. Soweit also zum Thema, das Rad steht nicht sicher. Aber egal, das Problem war jetzt ein anderes: Regen. Mal wieder.
Das Frühstück in der Küche hatte mein Gastgeber bereits am Vorabend vorbereitet. Alles stand bereit. Ich musste nur noch ein paar Sachen aus dem Kühlschrank holen und bei der Kaffeemaschine auf „Start“ drücken. Während des Essens schaute ich aus dem Fenster, beobachte wie die Regentropfen gegen die Fensterscheiben prasselten. Das Regenradar sagte mir, das es die nächsten zwei Stunden noch regnen würde.
Ich zog also meine Regensachen an und Abfahrt. Naja fast. Auf der Auffahrt entdeckte ich 2 große Schnecken, die sich ihren Weg suchten. Und genau diese beiden Schnecken waren mein Vorbild für die nächsten Stunden. Ich wollte langsam aber stetig dem Regen entfliehen. Ich fuhr wieder zur Landstraße zurück, die ich bereits vom Vorabend kannte. Folgte ihr in Richtung Westen. Mein erstes Etappenziel für den Tag war die Stadt Agen. Der Regen war dann auch nicht so schlimm wie befürchtet. Eigentlich nieselte es nur leicht.
Aber kurz vor Agen wollte es Frankreich dann noch einmal so richtig wissen. Ein kleiner Weltuntergang. Es regnete so stark das ich keine 10 Meter weit schauen konnte. Die Straßen standen handbreit unter Wasser und die Regentropfen schlugen beim Aufprall große Blasen. Da ich auf die schnelle nichts zum Unterstellen fand, fuhr ich einfach weiter.
Und genau in diesem Moment machte sich meine Mutter Sorgen um mich. Wegen Corona. Sie schrieb mir eine Nachricht und fragte mich, ob ich mich immer noch im Hochrisikogebiet „Mittelmeer“ befinde. Ich konnte sie beruhigen: „Ich bin schon fast am Atlantik.“ – „Bitte wo bist du jetzt hingefahren?“ – „Heute will ich bis Bordeaux kommen.“ – „Ach du bist doch verrückt!“ Nun ja vielleicht ein ganz klein wenig.
In Agen traf ich wieder auf meinem Kanal. Gleich in Kombination mit einem sehr interessanten Bauwerk. Der Kanal kreuzte den Fluss Garonne. Ein Brücke. Oben der Kanal unten der Fluss. Ich machte dort einige Fotos und fuhr dann weiter den Kanal entlang. Entdeckte das erste Hinweisschild auf meinem Tagesziel. Bordeaux. 168km. Ähm ja. Mir wurde klar: Groß was anderes außer den Kanal werde ich heute wohl nicht mehr sehen.
Der Kanal war aber richtig toll, sah wunderschön aus. Nur der Weg war nicht so schön wie an den anderen Tagen. Vereinzelnd Schlaglöcher und Wurzeldurchbrüche. Alles nicht so wild, Sorgen machte ich mir allerdings über die kleinen Steinchen, die auf dem Weg lagen. Und es dauerte dann auch nicht lang: Hinterrad platt. Hmpf. Immerhin war das Wetter mittlerweile gut. Kein Regen mehr.
So wirklich brachte mich das aber nicht aus der Ruhe. Ich wechselte den Schlauch. Fand, wie sollte es anders sein, einen Stein im Mantel. Nachdem wieder alles zusammengebaut war, wurde ich dann aber doch unruhig. Irgendwas klapperte an meinem Rad. Nur auf den großen Gängen. Ich versuchte herauszufinden, was das war. Gelang mir aber nicht.
Erst mit Hilfe von zwei weiteren Radreisenden, die netterweise anhielten, fand ich die Ursache. Einer der beiden hielt mein Hinterrad hoch, so das ich im Stand die Pedale durchdrücken konnte. Ursache war das Ende des Schaltzuges, welches sich so verbogen hatte, das es in die Speichen kam. Eine Kleinigkeit. Ich fuhr also weiter.
Keine 3 Kilometer später. Wieder einen Platten. Jetzt war es aber nicht das Hinterrad. Ich schob mein Rad ein kleines Stück. Bis zu einer Grundstückseinfahrt. Dort stellte ich mein Rad gegen einen Zaun und begann das Werkzeug auszupacken. Schaute kurz hoch und plötzlich schaute mir ein Hund in die Augen. Zum Glück kein Wachhund. Er wollte gestreichelt werden. Ich wechselte meinen Schlauch. Diesmal ohne weitere Probleme. Am Vorderrad gibt es ja keinen Schaltzug.
Während der weiteren Fahrt machte ich mir Gedanken über meinen Vorrat an Schläuchen. Von den 4 Stück waren innerhalb von einer halben Stunde die Hälfte verbraucht. Ich fühlte mich damit irgendwie unsicher. In einer kleinen Pause suchte ich daher bei Google nach Fahrradläden. Ich fand einige. Allerdings waren die meisten recht weit vom Track entfernt. Außer einem. Fast direkt am Track, circa 50km von meinem Standort entfernt. Dort wollte ich hin. In der Hoffnung das ich keine weitere Panne haben werde.
Ich fuhr noch etwa 20 Kilometer am Kanal entlang. Dann wechselte ich in die Weinberge. Kleine Wirtschaftswege, kein Autoverkehr. Mir tat die Abwechslung gut. Ich freute mich über das sanfte auf und ab. Am schönsten war dann ein ehemaliger Bahndamm. An meinem Fahrradcomputer habe ich die Funktion aktiviert, die mir die Reststrecke bis zum nächsten Abbiegehinweis anzeigt. Ich finde das ganz praktisch, weil ich entspannter fahren kann, wenn die nächste Kreuzung erst in mehreren Kilometern Entfernung zu erwarten ist. Dort auf den Bahndamm hatte ich es zum allerersten mal, das der nächste Abbiegehinweis über 20km entfernt war. Dort konnte ich quasi ohne Navi fahren.
Allerdings konnte ich nicht die gesamten 20 Kilometer genießen. Denn da war noch ein Problem mit den Fahrradschläuchen. Ich wollte nach Creon. Einer wunderschönen französischen Kleinstadt, die ich ohne meine Pannen nie gesehen hätte. Dort am Stadtrand sollte mein Fahrradladen sein. Schon von weitem sah ich allerdings, das ich mich vertan hatte. Der Laden war kein reines Fahrradgeschäft, sondern vielmehr so ein typischer Sportladen. Zwar recht groß, aber nur mit einer ganz kleinen Radabteilung.
Ich machte mir wenig Hoffnung dort meine Schläuche zu bekommen. Ich war aber trotzdem mutig. Stellte mein Rad in den Eingangsbereich und ging schnell in den Laden. Ich fragte direkt den ersten Mitarbeiter, da ich mich mit dem Rad vor der Tür unwohl fühlte. Der Mitarbeiter verstand mich nicht. Fragte einen weiteren. Dieser kannte sich nicht aus und holte noch einen dritten dazu. Alle 3 auf der Suche nach meinem Schlauch. Ohne Erfolg.
Ich fand allerdings Rennrad Schläuche bis 23mm Breite. Ich war zwar auf 25mm unterwegs. Mein Gedanke: Im Zweifelsfall ist ein 23mm Schlauch besser als gar keinen zu haben. Ich wollte also 2 davon mitnehmen. Neben mir stand der Mitarbeiter, der kein Englisch konnte. Er riss mir quasi den neuen Schlauch aus der Hand. Rupfte den Karton auseinander und hielt den neuen und meinen kaputten Schlauch nebeneinander. Was er dann sagte verstand ich: „Ja passt.“ Also nahm ich 2 Schläuche mit. Meinen kaputten ließ ich direkt da.
Wieder am Rad, als ich alles verstauen wollte, stellte ich erst fest wie doof ich eigentlich gewesen war. Ich hatte bis auf meine Geldbörse alles am Rad gelassen. Fahrradcomputer, Handy … einfach alles war draußen vor dem Laden. Ich wäre sowas von am Arsch gewesen, wenn alles weg gewesen wäre. So dumm …
Zum Glück ging es aber gut und ich konnte wieder zurück zu meinem Bahndamm. Nur noch wenige Kilometer trennten mich von Bordeaux. Mein Hotel für die Nacht lag am nördlichen Stadtrand. Also musste ich auch noch durch die Stadt. Trotzdem war ich gut in der Zeit und fuhr gemütlich umher. Dabei sah ich am Rand des Weges einen kleinen Fahrradreparaturpunkt. Etwas Werkzeug und eine Standpumpe. Da dachte ich mir, es wäre eine gute Idee dort einmal den Luftdruck zu prüfen. Eine Standpumpe ist ja eigentlich immer besser als eine Minipumpe. Eigentlich. In Bordeaux allerdings nicht. Der Klemmhebel der Pumpe war gebrochen. Ich probierte es trotzdem und nach 2 Versuchen war mein Hinterrad wieder platt. Also packte ich meine Minipumpe wieder aus und pumpte zum dritten mal.
Bordeaux selbst war wieder sehr unspektakulär. Das Stadtzentrum ersparte ich mir. Stattdessen fuhr ich direkt an der Garonne entlang. Eigentlich war das ganz schön. Erst kurz vor dem Hotel verließ ich den Fluss. Es folgte eine Rechtskurve, die mich in einen kleinen Wald führte. Und plötzlich ging es Bergauf. So richtig. Gefühlt ging es senkrecht nach oben. Ich versuchte noch möglichst schnell runterzuschalten. Schlussendlich musste ich aber doch kapitulieren. Der Anstieg kam zu überraschend. Also stieg ich ab und schob das Rad die letzten 20 Meter nach oben. Im Hotel schaute ich dann neugierig bei Strava: 200 Meter mit 15 % im Schnitt. Definitiv zu viel für das große Kettenblatt.
Das Hotel war wieder in der Nähe einer Autobahn. In einem Industriegebiet. Ganz witzig: Vor dem Hotel befand sich ein Pizza-Automat, an dem man sich rund um die Uhr frische Pizza ziehen konnte. Vielleicht eine Lösung für das menschenlose Brandenburg. Mein Rad schlief diesmal in einem Abstellraum hinter dem Frühstücksraum. Ich war ein wenig erschrocken, wie zugemüllt es in den Räumlichkeiten aussah. Alte Tische, Stühle, Werbematerial, Putzmittel … alles quer durcheinander.
Noch bevor ich auf mein Zimmer ging, zog ich mir in der Lobby eine Cola aus dem Automaten. Durch die Pannen hatte ich den Tag über zu wenig Pausen gemacht. Wieder kaum was gegessen und getrunken. Das holte ich nun nach. Nach einer kleinen Pause im Zimmer machte ich mich zu Fuß auf Essenssuche. Circa 1,5km vom Hotel entfernt fand ich ein kleines Einkaufszentrum. Ich ging in den Supermarkt. Füllte meine Vorräte auf und kaufte mir etwas zum Frühstück. Im Imbiss nebenan kaufte ich mir mein Abendessen: 2 Burger + Pommes und einen alkoholfreien Cocktail. Mit diesem machte ich es mir in meinem Zimmer gemütlich. Natürlich wieder mit französischem TV Programm.
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