Das Aufstehen am Morgen fiel mir zum ersten Mal schwer. Vielleicht lag es daran, dass ich wegen der Kühl-LKWs schlecht geschlafen hatte. Wahrscheinlicher war aber, dass das Erreichen des Atlantik einen Schalter in meinem Kopf umgelegt hatte. Ab jetzt befand ich mich auf dem Heimweg. Einen 1050km langen Heimweg. Was ein schrecklicher Gedanke.
Und dieser sah erst einmal einen weiteren Besuch am Atlantik vor. Ich verließ das Hotel mal wieder ohne Frühstück. Fuhr zurück, wieder durch Rochefort hindurch. Die Stadt war total verschlafen, es war quasi kein Auto unterwegs. Kurz nach dem Ortsausgangsschild traf ich zum zweiten Mal auf Hinterlassenschaften der Tour de France. Bekam aber auch diesmal wieder kein vernünftiges Foto davon. Kurz darauf bog ich auf eine kleine Straße parallel zur Autobahn ab. Und diese war fürchterlich. Ganz schlechter Asphalt mit vielen Schlaglöchern. Gedanklich war ich bereits bei einem weiteren Platten. Aber es passierte diesmal zum Glück nicht.
Als ich wieder guten Boden unter meinen Rädern hatte, entdeckte ich einen Bäcker. Perfekt, denn ich hatte ja noch kein Frühstück. Da ich kein Hunger auf „Süß“ hatte, kaufte ich mir eine Pizza und musste innerlich ein wenig schmunzeln. Pizza zum Frühstück war nämlich auch nicht viel besser als Kekse und Cola. Aber Cola gab es natürlich auch wieder. Ich setzte mich mit meiner Pizza vor die Tür der Bäckerei. Gedanklich kam ich zu dem Ergebnis, dass das Leben doch so schön sein kann.
Als ich weiterfuhr, zeigte sich Frankreich immer noch von der verschlafenen Seite. Es war so gut wie niemand unterwegs. Nur die Müllabfuhr arbeitete bereits. Dann war ich an meinem ersten Highlight des Tages. Zum zweiten Mal besuchte ich den Atlantik. Zu Hause hatte ich extra eine kleine Schleife im Track eingebaut. Eine „Ehrenrunde“ um eine kleine Landzunge. Und was soll ich sagen, ich hätte zu keiner besseren Zeit dort vorbeifahren können. Die Strände, leer, der Hafen leer und die Straßen natürlich auch. So hatte ich also ein privates Date mit dem Atlantik. So schön.
Danach ging es noch einmal für knapp 20 Kilometer in Richtung Norden, da ich unbedingt nach La Rochelle wollte. Mein Ziel der U-Boot Bunker. Das Boot – U 96. Eines der wenigen Bücher, die ich innerhalb kürzester Zeit gelesen hatte. Und da ich in der Nähe war, wollte ich mir den Handlungsort einmal ansehen.
Vorerst wurde ich allerdings vom Ort selbst überrascht. Ein riesiger Yachthafen, viele alte Gebäude, ein mittelalterlicher Leuchtturm. Eine wunderschöne Stadt. So schön, das ich mir vorstellen könnte einmal dort mit meiner Familie Urlaub zu machen. An einer schönen Stelle mit Blick auf das Meer sprach ich zwei ältere Damen an und fragte ob sie ein Foto von mir und meinem Rad machen könnten. Klar konnten sie. Sogar sehr gut. Schnell waren drei oder sogar vier Fotos gemacht. Anschließend unterhielten wir uns noch kurz.
Der U-Boot-Bunker lag mitten im Hafen. Umringt von Lagerhallen, Kränen und LKWs. Ich sah ihn schon von weitem. Meinen geplanten Weg konnte ich leider nicht fahren, da mich dieser auf einen abgesperrten Bereich des Hafens geführt hätte. Also fuhr ich frei nach Schnauze eine weitere kleine Ehrenrunde um den Bunker. Wieder mit einigen Foto Stopps.
Eines der Fotos schickte ich an meinem Freund Michael. Er schwankte, als ich auf dem Weg zum Mittelmeer war, bereits zwischen „Du bist doch bescheuert“ und „Man ist das geil“. Da ich mich nun einige Tage nicht mehr bei ihm gemeldet hatte, fragte ich ihn mit dem Foto: „Wo bin ich nun?“ Er antwortete direkt ein paar Minuten später „La Rochelle. Am Atlantik“ und erklärte mich nun für gänzlich bekloppt. Und ich wollte noch wieder zurück zum Startpunkt meiner Tour radeln.
Zum ersten Mal fragte ich mich allerdings auch, was ich mir da vorgenommen hatte. Meine Ziele waren erreicht und es lag nur noch der Rückweg vor mir. Ein Rückweg von 1040 Kilometern Länge. Das fühlte sich irgendwie falsch an. In etwa so, als wenn man den Urlaubsort verlässt und wieder nach Hause fährt. Urlaub zu Ende. Einen Moment dachte ich darüber nach, meinen Alternativplan zu aktivieren. Demnach wäre meine Tour in Paris am Eiffelturm zu Ende gewesen. Eigentlich auch ein schöner Gedanke. Aber nein, ich lag gut in der Zeit, hatte einen schönen Track entlang der Loire geplant und außerdem nur wenig Lust auf Großstadt. Also weiter nach Plan.
Bevor ich La Rochelle in Richtung Nordwesten verlies, konnte ich noch einen letzten Blick auf den Atlantik werfen. Von leicht erhöhter Position, da die Küste dort leicht hügelig war. Kurz darauf hatte ich das Mittelmeer hinter mir gelassen. Von nun an ging es wieder in Richtung Heimat. Und es dauerte auch nicht lange und ich war wieder an einem Kanal. Den Canal maritime de Marans à la mer. Die Straße am Kanal war allerdings furchtbar. Die Kanalzugewandte Seite lag rund 40 Zentimeter tiefer als die andere Seite, abgesackt, der Asphalt gebrochen. Und dazu auch noch Spurrinnen. In Marans traf ich dann auf das erste Kopfsteinpflasterstück der gesamten Tour. Und dieses fuhr sich besser als der Asphalt am Kanal.
Kurze Zeit später verließ ich den Kanal dann aber auch wieder. Mein Tagesziel Thours lag noch weiter nördlich. Ich hatte es als Ziel ausgewählt, da es die einzige größere Stadt zwischen La Rochelle und Tours war. In Städten findet man einfach viel leichter eine Unterkunft. So hatte ich auch bereits ein Hotelzimmer am nördlichen Stadtrand von Thours gebucht. Der Weg dorthin führte mich über viele kleine Wirtschaftswege. Alle gut asphaltiert. Dabei ging es stetig bergauf. Pausen machte ich, wenn mir danach war am Straßenrand. Auf den Dörfern gab es eh nichts zu kaufen. Also lebte ich von dem was ich dabei hatte.
An dieser Stelle möchte ich einen Einblick in meine Verpflegung geben. Was bei mir eigentlich gut funktioniert ist Mini-Salami. Sportriegel mag ich nicht so gerne, da sie mir auf Dauer einfach zu süß sind. Das gleiche gilt für Gels. Außerdem sind die Verpackungen so unpraktisch, das man sie quasi nicht ohne klebrige Finger essen kann. Was ich da besser finde, sind so Fruchtquetschies aus der Babyabteilung. Sie sind preiswerter und viel besser verpackt. Die kann man sogar während der Fahrt problemlos essen. Ansonsten kaufe ich im Supermarkt gerne noch etwas Obst. Eine Banane, ein Pfirsich oder ein paar Weintrauben.
Thours erreichte ich ohne weitere Vorkommnisse. Was mich allerdings freute: ein weiteres Stadttor in Hanglage, ohne Autoverkehr. Das nutzte ich sofort aus und machte ein paar Fotos. Das Hotel, wie gesagt am nördlichen Stadtrand, lag natürlich oben auf dem Berg. Diesen fuhr ich allerdings mit Vorfreude hoch, denn ich wusste, das ich am nächsten Morgen bergab starten konnte.
Das Hotel wurde von einer indischen Familie geführt, die so gut wie kein Englisch verstanden. „Without Breakfast“ war ihnen schon nicht mehr geläufig. Erst ein Kopfschütteln von mir und einem „No!“ wurde dann verstanden. Mein Rad wurde in einem Schiffscontainer auf dem Parkplatz verstaut. Und dann passierte mir auch noch ein kleines Missgeschick. Ich nahm die falsche Werkzeugdose vom Rad mit. Als ich duschen gehen wollte, bemerkte ich das ich anstatt der Waschutensilien das Werkzeug mitgenommen hatte. Also musste ich noch einmal zur Rezeption und zu meinem Rad.
Anschließend ging ich dann aber duschen, direkt mit meinem Klamotten. Einmal Wäsche waschen. Ich hatte eine kleine Terrasse und die Sonne schien. Eine Chance, die ich nutzen musste. Generell hätte ich mir das Wäsche waschen einfacher vorgestellt. Aber irgendwie fehlte mir immer die Zeit. Am Folgetag wollte ich nicht mit feuchten Sachen starten.
Mein Abendessen wollte ich im Hotel zu mir nehmen. Ein 3 Gang Menü für 20 Euro. Fand ich gar nicht so schlecht. Da allerdings noch etwas Zeit war, entschloss ich mich noch zu Fuß zum nächsten Supermarkt zu gehen. 3 Kilometer hin und auch 3 Kilometer wieder zurück. Meine weiteste Strecke, die ich in Frankreich zu Fuß zurücklegte.
Da ich einige kleinere Probleme zu lösen hatte, lohnte sich der Weg. Klar war ich wieder auf Nahrungssuche, das Frühstück für den nächsten Tag. Des weiteren noch irgendwas kleines für den Abend im Hotel. Dann brauchte ich ein neues Deo. Meine kleine Flasche war einfach leer und das wichtigste: Ich brauchte neue Socken. Die, die ich dabei hatte waren von dem vielen Regen mittlerweile so hart wie Bretter. Da konnte ich waschen, wie ich wollte, sie wurden einfach nicht mehr weich. Meine Hoffnung war, das durch neue Socken die leichten Schmerzen an den Fußsohlen verschwinden würden. Und das funktionierte auch.
Als ich wieder im Hotel war, schaute ich mal wieder meine Karaoke Sendung und ging dann essen. Ein wunderschöner Tag ging zu Ende. Die Strecke war deutlich schöner als gedacht und ich war gespannt, was mich am nächsten Tag erwarten würde. Es sollte weiter gehen in Richtung Loire. Der nächste Fluss.
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