Ich startete mal wieder ohne Frühstück. Da ich am Abend zuvor im Supermarkt nichts gescheites gefunden hatte, gab es mal wieder Kekse. So langsam hing mir der Süßkram zum Frühstück aus den Ohren hinaus. Aber da ich im Hotelzimmer keine Kühlmöglichkeit hatte, blieb mir fast nichts anderes übrig. Das Kind in mir versuchte es mir gut zu reden: Kekse sind Klasse. Kekse mit Cola noch viel besser. Aber am schönsten ist es doch, wenn ein selbst gestecktes Ziel erreicht wird. An diesem Tag wollte ich unbedingt bis zum Atlantik kommen.
Nun ja. Ich machte mich fertig und befreite mein Rad. Die Abstellkammern triggerten mich immer noch. So ein Müll … einfach nur krass. Darum machte ich dort noch 2 Fotos und schickte sie meiner Familie. Draußen war es viel schöner als in den Abstellkammern. Das Wetter war spitze. Die Sonne stand tief über dem Horizont und tauchte alles in ein traumhaft schönes Licht. Es war so schön, das ich kaum zum fahren kam. Ständig hielt ich an: Nur noch eine kleine Fotopause….
Ich fuhr in Richtung Nord Westen. Am „Trichter“ der Mündung der Garonne entlang. In Richtung Atlantik. Dem zweiten großen Ziel meiner Radreise. Direkt am Wasser hatte ich während der Planung keinen gescheiten Weg gefunden. Stattdessen fuhr ich über kleine Wirtschaftswege im Weinanbaugebiet. Links und rechts der Straße alles voller Weinpflanzen und diesmal ganz angenehm ohne Berge. Da ich nie lange wirklich gerade aus fahren konnte, verging die Zeit wie im Flug. An fast jeder Ecke gab es etwas interessantes zu entdecken.
Noch interessanter war dann die Zitadelle Blaye. Eine Wehranlage aus dem 17ten Jahrhundert. Sie lag auf einer kleinen Anhöhe, von der man einen wunderbaren Ausblick auf die Gironde hatte. Und natürlich fuhr ich mitten hindurch, trotz des historischen Kopfsteinpflasters. Außerdem gab es wieder einen weiteren Strich auf meiner Stadttorliste … ja ich bin komisch.
Da die letzte Pause schon wieder eine Weile her wer, wollte ich mir eigentlich einen schönen Ort aussuchen. Allerdings verwarf ich den Plan wieder, da mich der Ehrgeiz packte. Westlich von mir war eine kleine dunkle Regenwolke zu sehen. So klein, das ich mir erhoffte dem Regen zu entgehen, wenn ich nur weit genug nach Norden kommen würde. Also fuhr ich. Und fuhr und fuhr und fuhr. Immer die Wolke im Blick. Mein Weg führte auf einer scheinbar endlos langen geraden Straße direkt nach Norden. Absolut perfekt um den Regen zu entgehen. Und so war der Versuch auch von Erfolg gekrönt.
Kurz darauf hatte ich dann allerdings weniger Glück. Eine zweite Regenwolke. Jetzt führte mein Track nach Westen der Wolke entgegen. Da meine Pause eh überfällig war, suchte ich mir etwas zum unterstellen. Was allerdings nicht so leicht war. Nach einigen Kilometern fand ich einen Geräteschuppen von einem Bauern. Normalerweise wäre ich vorbei gefahren, weil ich Privatgrund lieber meide. Aber der Regen war schon nah.
Ich fuhr hinein und sorgte für den mir unangenehmsten Augenblick der Radreise. Ich störte eine Rennradfahrerin, die sich den Geräteschuppen zur Entsorgung von unnötigem Wasser ausgesucht hatte. Sie hockte da und ich versuchte schnellst möglich wegzuschauen. Sehr unangenehm. Als sie fertig war, fuhr sie direkt davon. Ohne grüßen, direkt der Regenwolke entgegen. Ich telefonierte kurz mit meiner Frau und sah dann wie auch die Rennradfahrerin vor dem Regen flüchtete. Sie kam zurück. Fuhr allerdings am Schuppen vorbei. Als ich ein paar Minuten später wieder weiter fahren wollte, sah ich sie dann zum dritten mal in meinem Rückspiegel.
Ab dem Zeitpunkt war das Wetter dann perfekt. Es blieb trocken. Der Wind nicht zu stark und es war auch nicht zu warm. Ich fuhr wieder direkt an der Gironde entlang. Rechts neben mir in einiger Entfernung vom Ufer sah ich einige Klippen. Mir war direkt klar, das ich dort irgendwann rauf musste, wenn der Weg nicht mehr direkt am Ufer weitergehen würde. Und so kam es dann auch. Netterweise noch mit einem Hinweisschild. Die Angabe „18%“ darunter war dann weniger nett. Aber diesmal schaffte ich es ohne Absteigen und von oben war der Ausblick wunderschön.
Die nächste Stadt die ich erreichte war Royan. Eine Stadt, die mir vom Namen sehr geläufig war, denn von dort aus plante ich zu Hause, alle möglichen Rückweg-Varianten. Und das hieß auch: Ich hatte mein zweites Ziel erreicht. Ich war am Atlantik. Wie auch am Mittelmeer folgte mein Weg dem Küstenverlauf. Nach Norden, denn ich wollte bis nach La Rochelle und dann wieder zurück. Für den Tag war La Rochelle allerdings zu weit entfernt, so das mein Tagesziel Rochefort war.
Allerdings stellte Royan für mich eine unangenehme Überraschung bereit. Auf der Suche nach einem Imbiss bemerkte ich, das sich mein Rad irgendwie komisch fuhr. Gerade bei Unebenheiten fühlte es sich irgendwie schwammig an. Meine Vermutung: Die Satteltasche war verrutscht. Da ich aber fast ausschließlich nur Restaurants fand, fuhr ich trotzdem weiter. Etwas 10 Kilometer später entdeckte ich eine Eisdiele, die auch Churros verkaufte. Das erinnerte mich an Lyon. Dort wollte ich die Churros mir dann plötzlich ja doch nicht mehr kaufen. Hier aber schon: Also holte ich sie mir.
Ich setzte mich auf eine Bank und wollte sie Essen. Dies war allerdings schwierig, denn die Bank war rund. So mit einem Baum in der Mitte. Ich fand keinen guten Platz um mein Rad abzustellen. Es rutschte mir leicht seitlich weg und als ich es auffangen wollte, fiel mir auf, das nicht nur meine Satteltasche verrutscht war. Der ganze Sattel wackelte hin und her. Scheiße! Und wieder waren die Curros direkt Nebensache.
Die Ursache für den losen Sattel fand ich recht schnell. So ein einfaches Gummiteil, welches normalerweise zwischen Sattelstütze und Rahmen sitzt, war porös geworden und hatte sich in seine Bestandteile aufgelöst. Ich fand nur noch Reste davon, die nicht mehr ausreichten um den Sattel genügend zu fixieren. Gedanklich war ich bereits beim Abbruch der Tour. So konnte ich nicht weiterfahren. Und genau so ein Teil irgendwo in Frankreich zu bekommen, erschien mir aussichtslos.
Ich grübelte noch eine Weile. Versuchte das Gummi durch ein Stück von meinem Putzlappen zu ersetzen. Ging natürlich nicht. Ich demontierte den Sattel ganz und fand dabei noch ein größeres Stück von dem Gummi, welches komplett im Rahmen steckte. Dies war noch groß genug. Ich montierte den Sattel neu und zwar so, das das Gummi-Teil wieder ein Stückchen raus schaute und siehe da: Wackelprobe! Der Sattel war wieder fest. Die Frage war nur, wie lange dieses Provisorium halten würde. Meine Angst war, das der Gummirest ebenfalls porös war und innerhalb weniger Kilometer sich in Luft auflösen würde.
Trotzdem wollte ich erst einmal weiter radeln. Ich aß meine Curros auf. Hatte aber nicht mehr so richtig Freude daran. Ich wollte einfach so schnell wie möglich weiterfahren. Testen. Das Fahrgefühl war wieder besser, allerdings war ich recht angespannt. Auf jedes noch so kleine Geräusch wurde geachtet. An jeder Ampel der Sattel kontrolliert. Schlaglöcher versuchte ich so gut es ging zu meiden. Schlussendlich war das der größere Test für mich, als die beiden Platten vom Vortag.
Mein Versuch, die Strecke doch irgendwie zu genießen, gelang mir trotzdem. Wahrscheinlich aber nur, weil der Track so wunderschön war. Es waren zwar auch relativ viele Menschen unterwegs, aber die versammelten sich meist nur dort, wo es einen Parkplatz gab. Ich fuhr parallel zum Strand. Auf der linken Seite des Weges waren Dünen, auf der rechten ein Wald. Der Blick aufs Meer war meist verdeckt. Allerdings gab es immer wieder Punkte, an denen ich das Meer sehen konnte. Dort fuhr ich dann immer extra langsam.
Es folgte ein relativ langer Abschnitt auf einem Radweg durch einen Wald. Dort waren sehr viele Radfahrer unterwegs. Mir kam eine Gruppe Kinder entgegen, die ihren Arm zur Straßenmitte ausstreckten. Ich tat dies ebenfalls und wir klatschten uns ab. Die Kinder waren begeistert und ich ganz froh, weil mich das auf andere Gedanken brachte. Blöder Sattel. Aber er hielt.
Kurz vor meinem Ziel Rochefort wurde es dann noch einmal aufregend. Ich musste den Fluss Charente queren. Über den Pont Transbordeur, einer Personenfähre, wollte ich nicht. Ich erinnerte mich an meine Planungsphase. Dort schob ich die Strecke so lange hin und her, das ich keine Fährfahrt mehr dabei hatte. Im Nachhinein ein Fehler. Mein Weg führte nun über eine große Brücke. Darauf: eine Schnellstraße. Der Radweg nicht baulich getrennt, sondern direkt auf dem schmalen Standstreifen. Die Autos brausten an mir vorbei. Ziemlich gefährlich.
Nach der Brücke verlies ich die Schnellstraße aber direkt wieder. Für mich folgte ein wunderschöner kurviger Weg durch mehrere Salzwiesen. Ich erfreute mich an der Tatsache, das ich nun teilweise auf beiden Seiten des Weges Wasser hatte. Bis Rochefort war es nicht mehr weit. Zum Hotel auch nicht. Allerdings musste ich noch einmal quer durch die Stadt. Ich drehte sogar noch eine kleine Ehrenrunde, da ich das Hotel nicht erkannte. Es stand ein anderer Name dran. Es gab wohl einen Eigentümerwechsel und der neue Name war noch nicht angebracht. Verwirrend.
Die Kommunikation mit der Dame an der Rezeption war schwierig. Sie sprach zwar Englisch, aber so schlecht, das ich sie kaum verstand. Außerdem war sie irgendwie sehr kompliziert. Ich fragte nach einem Stellplatz für mein Rad. Aufs Zimmer sollte das Rad nicht. Sie zeigte mir einen Ort, an dem ich morgens aber erst nach 8 Uhr wieder rangekommen wäre. Da ich wieder früher starten wollte, sollte ich mein Rad dann doch mit aufs Zimmer nehmen. Dann fragte ich nach einem Abendessen. Das Restaurant war allerdings geschlossen. Trotzdem bot sie mir eine Art Vesperplatte an. Diese sollte etwa eine halbe Stunde später fertig sein. Sie meinte: Ich solle doch in der Zwischenzeit auf mein Zimmer gehen. Das Rad sollte allerdings wieder in der Rezeption bleiben. Warum auch immer.
Schlussendlich durfte ich das Rad dann aber doch gleich mitnehmen. Ich machte mich frisch und schaute noch ein wenig TV. Mittlerweile war es für mich Tradition geworden, eine Karaoke Sendung zu schauen. Ich verstand zwar kein Wort, aber irgendwie war die Sendung witzig. Von meinem Abendessen war ich dann sehr positiv überrascht. Für wenig Geld bekam ich gutes Essen. Mit reichlich Wurst und Schinken. Endlich mal keine Kekse. Aber zum Essen wählte ich, auch aus Tradition, wieder eine Cola und eine weitere nahm ich noch aufs Zimmer mit.
Im Zimmer stellte ich dann fest, das das ein Fehler war. Denn die Glasflasche bekam ich ohne Öffner ja gar nicht auf. Ich löste das Problem mit meinem Multitool. So oft, wie auf der Frankreichrundreise, hatte ich es noch nie benötigt. Und da es eh schon ausgepackt war, kontrollierte ich gleich noch einmal meinen Sattel. Das lies mir ja doch keine Ruhe, aber es war alles fein.
Da noch Zeit war entschloss ich mich noch einmal Baden zu gehen. Aber auch hier erwartete mich der Fehlerteufel: Die Badewanne so kurz, das ich nicht einmal meine Beine im Sitzen ausstrecken konnte. Ich probierte zwar noch irgendeine gemütliche Position zu finden, gab dann aber doch recht schnell auf. Die Nacht war dann leider auch nicht so angenehm. Direkt vor dem Fenster war eine Feinkostfirma, die ab 2 Uhr nachts LKWs belud. Die Kühlungen der LKWs brummte die ganze Zeit. Erst gegen 3 Uhr war dann wieder Ruhe. So konnte ich dann doch noch weiterschlafen und wachte auch erst mit dem Wecker wieder auf.
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